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Illustration: Harm von Lintig

Illustration: Harm von Lintig

Früher gehörten zu einer Familie eine Frau, ein Mann, zwei bis sechs Kinder und auch Opa und Oma sowie Opi und Omi sowie Onkel und Tanten. Aber damals gab es auch keine Computer und kein mobiles Internet. Absprachen waren oft kompliziert und langwierig, Informationen flossen langsam. Eine starre Organisation und Aufgabenverteilung zwang Menschen unter ein Dach.

Es blieb einfach keine Zeit, sich den wichtigen Dingen des Lebens zu widmen, wie zum Beispiel Facebooken, Skypen, Mailen, Chatten, Surfen, Daten eingeben, organisieren, programmieren usw. Doch inzwischen haben sich diese veralteten sozialen Strukturen aufgrund des technischen Fortschritts gelockert. Viele Menschen haben heute dank IT und moderner Arbeitswelt gar keine Zeit mehr zu kochen, zu waschen, mit ihren Partnern zu reden oder sich um Kinder zu kümmern, die bei jedem Problem sofort abstürzen.

Die Familie alten Zuschnitts hat sich als untauglich erwiesen. Sie ist teuer, unflexibel und an einen Ort gebunden. Sie kostet Zeit und Geld, obwohl sie uneffektiv und ineffizient ist. Da die moderne Arbeitswelt verlangt, dass jeder zu jeder Zeit überall sein kann und auch noch selbstständig und auf eigenes Risiko, können die meisten jungen Digital Natives gar nicht mehr die Zeit und das Geld aufbringen, um eine Familie zu erhalten oder ihr auch noch Zeit zu widmen. – Es wird Zeit für ein Upgrade.

Da der moderne Mensch mobil ist, bieten sich heute Möglichkeiten, an die früher keiner dachte. Dank der Innovationskraft junger Start-ups haben sich zunächst erste Communities und Tauschbörsen gebildet. Die Mitglieder haben verstanden, wie sie trotz unbegrenzter Mobilität, Spontanität und Flexibilität ihre banalen und altmodischen Bedürfnisse befriedigen können, ohne ihren Lifestyle aufzugeben.

Unter dem Suchwort „Family Outsourcing“ finden sich zahlreiche Angebote für moderne IT-ler. Wer sich in einem der Netzwerke anmeldet, kann nach einer kurzen Verifikation mit seiner ID sofort an allen sozialen Ereignissen teilnehmen, die es früher nur gab, wenn man bereit war, viel Zeit und Geld in eine eigene Familie zu investieren.

Unter Kategorien wie: „Schatz, wechselst du Mal die Windeln,“ oder „Verdammt noch Mal, wo warst du solange,“ oder „Hallo, ich bin heute etwas früher zu Hause,“ bis zu „Ich ziehe zu meiner Mutter,“ oder „Die Bank hat uns heute den Kredit gekündigt!“ oder „Wer bekommt das Haus,“ können alle sozialen Interaktionen einer Family life und mit wechselnden Partnern erlebt werden. Tausende von Usern wissen den Service zu schätzen und die wachsende Community gibt den jungen Start-ups recht. – This is real life. Mit diesem überraschenden Slogan überzeugen die Macher ihre User.

Am Anfang haben sich hauptsächlich IT-ler angemeldet, die ihre Familie aus privaten Gründen aufgegeben haben, weil das Programm einfach nicht mehr funktionierte. Dann kamen die IT-ler, die selbst outsourcet wurden und ihre Familien aus Kostengründen auflösen mussten, weil sich ihr Einkommen gerade wieder halbiert hatte und sie bis zur nächsten Selbstständigkeit ihren Anhang bei ihren Schwiegereltern parken mussten. Inzwischen erkennen aber auch Menschen ohne finanzielle oder technische Probleme den Vorteil dieses Trends und sourcen ihre Familien freiwillig aus.

Offensichtlich spricht mehr für das Family Outsourcing, als die Erfinder am Anfang dachten. Einige Community-Members feiern lieber jeden Tag Weihnachten, als den Abwasch zu machen. Schwierige Zeitgenossen gehen einmal die Woche zum Scheidungsrichter, um ihr seelisches Gleichgewicht zu erhalten. Manche besuchen auch mehrfach das Begräbnis ihres Vaters oder ihres Chefs. Und wieder andere finden Gefallen daran, sich mit ihren Partnern lautstark zu streiten.

Da die einzelnen Gruppen immer wieder neue „Members“ finden, können wechselnde Partner bestimmte Situationen immer wieder neu gestalten. Das sorgt für Abwechslung und fördert die soziale Kompetenz. Klare Regeln beschränken den Umgang auf die vereinbarte Situation. Wer will, kann sich ein Family-Pack für einen Abend, einen Tag oder ein Wochenende zusammenstellen. Wer auf Psychodrama steht, kann bestimmte Situationen immer wieder durchspielen.

Auch die Kinder haben ihren Spaß. Studien haben gezeigt, dass eine bestimmte Bezugsperson gar nicht gebraucht wird, um das seelische Wachstum zu fördern. Die Auswertung der Tests ergab, dass die meisten Kinder ihre Eltern gar nicht mehr erkennen. Stattdessen unterbrechen sie ihre Sitzungen am Computer nur noch, wenn sie Stimmen fremder Menschen hören oder unbekannte Gerüche wahrnehmen.

Anscheinend entsteht hier ein neuer Megatrend, der die Menschen endlich von der lästigen Aufgabe befreit, dauerhafte soziale Bindungen einzugehen. Die Start-ups haben bereits zahlreiche Möglichkeiten gefunden, ihren Service zu finanzieren, um ihn den Members weiter kostenlos anbieten zu können. Unternehmen bieten gerne an, was in bestimmten Situationen gebraucht wird. Sponsoren und Werber sind interessiert, in diesem Umfeld zu erscheinen. Besonders Zeitarbeitsfirmen sind total begeistert.

Es haben sich auch bereits Initiativen gebildet, die fordern, die Members der Community traditionellen Familien steuerlich gleichzustellen. Erste Proteste wurden organisiert, weil Standesämter und Pfarrer nicht bereit waren zwei Member zu trauen oder ihre Scheidung als rechtmäßig zu akzeptieren.

Kim Young Un, ein Leader des Trends und nicht zu verwechseln mit einem Diktator gleichen Namens äußerte sich dazu wie folgt: „Es zeigt sich Mal wieder, dass nicht die Technik den Menschen vor Probleme stellt, sondern Menschen einfach nicht verstehen, die technischen Möglichkeiten richtig zu nutzen. Besonders die Politik und der Staat haben vor der Herausforderung kapituliert, ehe sie sich ihr gestellt haben.“

Als technische Lösung bietet sich vielleicht die Entwicklung einer Chipkarte an, die einzelne Aktivitäten aufzeichnet und speichert. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Members genauso viel Zeit für ihr Family Life aufwenden, wie die Traditionals. – „Family Outsourcing ist besser und billiger als eine normale Familie“, gibt Kim Young zu bedenken. „Kein Mensch kann es sich heute noch leisten, Zeit und Geld mit der Suche nach Partnern oder dauerhaften Bindungen zu verschwenden.“